Die Schlacht um Verdun

Forschung | Der Tunnel von Tavannes


Der Tunnel von Tavannes von Stephan Klink

Die Anlage wurde 1873 / 1874 erbaut und 1936 erweitert. Die Namengebung des Tunnels und auch des gleichnamigen Forts geht auf den französischen Marschall und Gouverneur der Provence Gaspard de Saulx, seigneur de Tavannes (1509 – 1573) zurück. Er wurde Mitte des 16. Jahrhunderts damit beauftragt die damals schon befestigte Stadt Verdun militärisch zu verwalten. Gaspard war der zweite Sohn von Jean de Saulx, der eine gewisse Marguerite de Tavannes geehelicht hatte und seitdem den Namenzusatz trug.

Der Tunnel hatte vor und während der Kämpfe 1914 - 1918 nur eine Röhre. Die rechte Röhre wurde erst 1936 dazu gebaut. Die folgenden Beschreibungen beziehen sich auf die linke (südliche) Röhre, welche während der Kämpfe maßgeblich war. Die Länge des Tunnels beträgt rund 1.400 m mit einer durchschnittlichen Breite von 5 m.

Der Tunnel wurde für die Bahnlinie Metz - Verdun erbaut. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der damit neu entstandenen Grenzen bekam der Tunnel nach seiner Eröffnung 1874 eine strategische Bedeutung.

Einige Jahre nach der Inbetriebnahme und mit dem Entstehen der einzelnen Festungswerke bei Verdun erkannte man auch die nicht ungefährliche Lage des Tunnels. Im Ernstfall könnte es einem Feind, hier wohl die deutsche Armee, gelingen, den Außengürtel der Festung Verdun zwischen den Forts Tavannes und Souville relativ gesichert zu passieren. In der Tat geisterte auch deutscherseits der Gedanke in einigen Aufzeichnungen einen Handstreich gegen die Festung selbst mittels Eisenbahn durch den Tunnel zu bewerkstelligen.

Tunnel von Tavannes

Daraufhin baute man bis 1883 am bedrohten östlichen Zugang des Tunnels zwei Wachhäuser mit entsprechend ausgelegten Schießscharten (Streichen). Ferner montierte man eine Sperrvorrichtung, um den Zugang zum Tunnel im Ernstfall schließen zu können.

Die Planungen erweiterten sich sogar dahingehend, dass man für das Jahr 1895 beabsichtigt einen unterirdischen Zugang vom nahe gelegenen Fort Tavannes in den Tunnel zu graben, was allerdings nicht zur Ausführung kam. Lediglich ein vom Fort kommender Laufgraben in den Bereich des Tunnels wurde angelegt. Die Verbindung sollte eine schnelle militärische Besetzung des Tunnels sichern.

Parallelen zum Ausbau des Tunnels und die dazugehörigen Diskussionen über einen stärkeren Ausbau und Schutz der Anlage selbst findet man übrigens auch beim Montmedy-Tunnel.

* Und hier möchte ich noch ein besonderes Kapitel einschieben, was die französischen Bahnlinien, deren Verwaltung und Zuständigkeit, auch insbesondere die Tunnelanlagen, betraf: Ein kühner Eisenbahn-Handstreich gegen die Festung Verdun wäre bereits zu Kriegsbeginn im August 1914 möglich gewesen, da sich die französische Eisenbahn und das Militär quasi selbst im Wege standen. Ich möchte das hier erläutern, da Plan und Realität meist weit auseinanderliegen. Und das trieb anhand der vorliegenden Beispiele den Tavannes-Tunnel betreffend besondere Blüten.

 

Nachfolgend eine Aufzählung der gravierendsten Probleme für diesen Bereich vor Kriegsbeginn.

- Erster Fehler: Bereits beim Bau verschiedener Tunnel (und hier bleiben wir im Bereich des Tavannes-Tunnels) war der Einbau von Sprengkammern und von sogenannten Hilfs-Sprengkanälen vorgesehen, allerdings kamen viele – nach privaten Berichten – zu keiner ordnungsgemäßen Nutzung. Im Laufe der Jahre wurden diese für Bahnbetriebszwecke umfunktioniert und dienten als Materialkammern und Wächterbuden, die Sprengkanäle dienten als zusätzliche Lüftungsanlage. Das Fatale dabei war, dass die veränderte Nutzungsweise nicht an die obere Eisenbahnbehörde weitgegeben wurde, da man befürchtete, dass sich in den unteren Stellen u.U. anarchistische Leute unter den Mitarbeitern befänden, die diese Räume vielleicht zu Sabotagen benutzen könnten, wenn sie von deren tatsächlichen Nutzungsvorgaben und der Wirkung bei angewandter Umsetzung wussten. So ließ man die unmittelbaren Mitarbeiter, in der Regel in den zuständigen Bahnmeistereien, im Glauben, dass es sich tatsächlich um Materialräume und schlecht gebaute Lüftungen handelte.

- Zweiter Fehler: Die bahneigenen Telefon- und Telegraphenanlagen waren in diesem Bereich völlig unbrauchbar. Die Anlagen wurden von den Bediensteten nur insoweit gepflegt, dass sie dem schwachen Friedensverkehr gerecht wurden. Im Kriegsfalle mit einer starken Zugfolge würden die Anlagen der Belastungen nicht gewachsen sein.

- Dritter Fehler: Falsches Konkurrenzdenken zwischen den staatlichen Netzbetrieben und privaten Gesellschaften zu Lasten von Militärtransporten. Die Militärtarife für entsprechende Transporte in Friedenszeiten waren sehr gering, aber mit einem sehr hohen organisatorischen Aufwand verbunden. Die finanziellen Verluste an Betriebskosten insbesondere auf den eingleisigen Strecken waren bedeutend, ferner wurde der geregelte Bahnbetrieb gestört. Es erforderte einen erhöhten Personal- und Materialbedarf, Ab- und Zufuhr vielen Leermaterials. Aus diesen Gründen machten die Gesellschaften den Militärbehörden einen Transport auf diesen Strecken fast unmöglich. Man baute wissentlich Laderampen, Sack- und Überholgleise möglichst kurz, um den Verkehr von Militärzügen zu verhindern oder komplett unbrauchbar zu machen. Die Gesellschaften verwiesen lieber auf die größeren zweigleisigen Strecken, welche allerdings nicht immer im Bedarfsbereich der Militärbehörden lag.

- Vierter Fehler: Unklare Frage der Befehlsführung im Kriegsfalle. In Friedenszeiten stand fest, dass der Abschnitt östlich Verdun zur Festung gehöre. Unklar blieb allerdings, welche militärische Stelle befehlsbefugt war. Diese Frage stellte sich insbesondere für den Fall einer Sprengung des Tunnels. Der Kriegsminister selbst war nicht befugt, weil die Strecke „besetzt war von einer Operationsarmee“. Da diese Armee aber nicht „isoliert“ handelte, bedurfte es weiterer Ermächtigungen, zu Maßnahmen, die aber nicht erteilt bzw. berücksichtigt und geregelt wurden. Und aufgrund der mangelhaften Nachrichtenstrukturen wäre eine Kommunikation niemals bis zu den zuständigen Bahndienststellen gelangt. Fakt war, dass tatsächlich niemand das Recht hatte eine nachhaltige Streckensperrung z.B. durch Sprengung anzuordnen. Hier hätte scharfes und konsequentes Vorgehen von deutscher Seite einen vollkommenen Erfolg gebracht und die Anlagen wären unbeschädigt in deutsche Hand gefallen. Während die Franzosen sich noch mit ihrer mangelnden Technik und den Befehlshierarchien auseinandersetzten, wäre der Handstreich längst gelungen.

-Fünfter Fehler: Organisatorische Fehlmaßnahmen. Mit einem Erlass vom 2. August 1914 hatte man zumindest eine Übernahme der Bahnen durch die Militärbehörden angeordnet, allerdings hatte man versäumt auch das bahneigenen Telegraphennetz mit einzubinden. Die Militärbehörden beschlagnahmten zwar die Anlagen nach Kriegsausbruch, allerdings entspann sich ein äußerst heftiger Zuständigkeitsstreit per Kabel, der jeglichen Bahndienst-Telegramm-Verkehr lahmlegte. Im Bereich der Telefone herrschte diesbezüglich eine solche Überlastung, dass keine vernünftige Verständigung zwischen Militärbehörden und zivilen Bahnbehörden erzielt werden konnte.

Die Verwirrung war komplett: Ein Teil der Behörden nahm an, dass die Beschlagnahme der Bahnen die Beschlagnahme der Telefonnetze beinhalte; andere bestritten dies und glaubten, dass die Bahnverwaltungen im Besitz des Telefonnetzes bleiben müssten. Ganz andere erklärten: Das Telefonnetz hat weder mit der Bahn noch mit dem Telegraphennetz zu tun: Solange es nicht beschlagnahmt ist, untersteht es der Bahnverwaltung. Die Organisation des französischen Eisenbahnwesens war so ausgezeichnet geheim gehalten worden, dass sie nur die Eisenbahnbehörden selbst und ausschließlich in ihren obersten Etagen kannten und vor allem verstanden.

Tunnel von Tavannes

Bereits lange vor dem Kriege hatte man großen Respekt und Angst vor den deutschen Schnellzug-Lokomotiven, die eine planmäßige Geschwindigkeit von 110 Km/h und mehr leisteten. Die französischen Eisenbahner zitterten vor dem Szenario, dass die schnellen Züge, bewaffnet oder bemannt in sehr kurzer Zeit in das Hinterland dringen konnten, um Verwirrung zu stiften, oder um strategisch wichtige Anlagen zu besetzen oder zu zerstören. Denkbar wäre hier die Besetzung von Stellwerken, Zerstörung von Weichen, Abwerfen von Minen in Tunneln oder auf Brücken, Besetzung wichtiger Punkte und Halten dieser bis zum Eintreffen von Verstärkungen. Eine weitere nicht unwichtige Folge wäre, dass bei Erkennung von Explosionen, Detonationslärm oder Stichflammen, die französische Stellen ihre Truppentransporte und Züge entsprechend umleiten würden und so eine weitere Verzögerung bzw. eine geographische Verschiebung der Einsatz der Kräfte die Folge wäre.

Einige Eisenbahner glaubten fest daran, dass derartige deutsche Züge bereits zwei Stunden nach Kriegsausbruch durch Chalons-sur-Marne oder durch Belfort rasen würden. Wäre der Versuch gemacht worden, wäre die französische Mobilmachung in diesen und anderen Gebieten äußerst gefährdet gewesen.

Zumindest hätte aufgrund der geschilderten Tatsachen ein deutscher Eisenbahn-Handstreich gleich zu Kriegsbeginn Erfolg haben müssen. Die Folgen wären gewesen:

  1. Die Strecke Metz – Conflans – Verdun (weiterführend Chalons sur Marne – Paris) konnte in den deutschen Dienst übernommen werden.
  2. Es konnte durch den Vorstoß der französische Aufmarsch in sehr erheblichem Umfange gestört oder sogar unterbunden werden.
  3. Die materiellen Verluste der Franzosen insbesondere von rollendem Material wären sehr groß gewesen.
Tunnel von Tavannes

Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges verhinderte die rasch nach vorne rückende Front (Maashöhen, Woevre-Ebene) eine Benutzung des Tunnels sowie der gesamten östlich verlaufenen Bahnlinie. Den Deutschen war der Tunnel bekannt und die Gefahr bestand, dass die Eingänge relativ leicht unter Artilleriefeuer genommen werden konnten. Es existierten Pläne den gesamten Tunnel bei entsprechend eintretender Situation komplett durch Sprengungen zu zerstören, deren Ausführung allerdings aus beschriebenen Gründen zwangsläufig unterblieb (siehe oben).

Mit Beginn der Kämpfe um die Festung Verdun im Februar 1916 erfuhr der Tunnel eine völlig andere, als seine ursprünglich geplante Verwendung. Fortan diente die Anlage als Unterkunft, Gefechtsstand, Verbandplatz und Munitionsdepot sowie als Relais-Station der im Bereich Tavannes und darüber hinaus eingesetzten französischen Truppen. Etwa in der Mitte des Tunnels wurden große Buchten für diese Zwecke angelegt. Die Anlage hatte den Vorteil, dass man vom westlichen Eingang in Länge des gesamten Tunnels geschützt vor der Artillerie der Deutschen Material, Munition und Truppen in den vorderen Frontbereich befördern konnte. Ferner begünstigte die Lagerung von Soldaten und Material in diesem Bereich die Reaktionsfähigkeit bei einer evtl. plötzlich einsetzenden Gefahrenlage.

Tunnel von Tavannes

Den Deutschen war die Bedeutung der Anlage von Beginn der Offensive an bewusst. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Ostausgang des Tunnels permanent unter Artilleriefeuer gehalten, was für die ein- und austretenden französischen Truppen insbesondere für den Einzelnen zu einem Glücksspiel werden sollte. Der westliche Zugang war für die deutsche Artillerie nicht zu fassen, höchstens schweres Steilfeuer konnte diesen Bereich abdecken, aber offensichtlich fehlten hierzu die Mittel.

Vergleichbar wäre die Situation auf deutscher Seite nach der Eroberung des Forts Douaumont. Hier konnte man das Werk nur über die Ostgrabenstreiche betreten / verlassen, das Werk geschützt durchlaufen und an der Westgrabenstreiche die geschützten Räume wieder betreten / verlassen. Diese beiden Ausgänge lagen ständig unter französischem Artilleriefeuer. Der Gang dort hin und heraus war unter den Soldaten mehr als berüchtigt und verlangte in den meisten Fällen auch mehr als nur Glück. Es wird insbesondere in diesem Bereich von bedenklichen Verlusten berichtet, vor allem an unerfahrenen Leuten.

Die Lagerstätten für die französischen Infanteristen sahen im Tunnel selbst mehr als spartanisch aus. Die Anlage wurde nur sehr schwach durch eine von einem Generator angetriebenen Beleuchtung erhellt. Rechts und links des Gleisbettes entstanden Baracken aus Holz und Blech, es wurde aber auch von nur einfachen Lagerstätten bestehend aus Etagenbetten neben den Gleisen berichtet. Latrinen gab es keine im Tunnelbereich. Die Luft war anhaltend schlecht, da die Lüftungskamine zugesetzt wurden, damit kein Gas in das Innere der Anlage gelangen konnte.

Tunnel von Tavannes

Leutnant BENECH vom französischen 321. R.I. berichtete über die Zustände und die Stimmung der Leute im Tunnel folgendes: "Wir kommen im Tunnel an, werden wir dazu verdammt sein hier leben zu müssen? Ich bevorzuge den Kampf unter freiem Himmel, die Umarmung des Todes auf offenem Boden. Hier riskieren wir den Wahnsinn.

Ein Haufen Säcke hängt von der Decke bis zum Boden und verdeckt den Eingang. Draußen hämmert ununterbrochen die Artillerie mit allen Kalibern. Unter der Decke werfen ein paar kleine schmutzige Lampen ein zwielichtiges Licht. Fliegenschwärme umkreisen die Lampen. Ununterbrochen greifen sie uns an und weichen nicht mal nach heftigen Abwehrbewegungen. Die Gesichter der Kameraden sind feucht, die lauwarme, stickige Luft ist widerlich.

Auf dem schlammigen, weichen Boden, im Bereich der ehemaligen Geleise liegend, kauern die Männer mit gesenkten Blicken, zusammengerollt wie Kugeln versuchen sie zu schlafen, einige träumen und schnarchen. Ihr Schlaf ist tief, sie bewegen sich nicht mal, wenn ein Vorbeilaufender sie zufällig tritt.

An einigen Stellen sprudelt langsam eine Flüssigkeit. Ist es Wasser oder Urin? Ein allgemein sehr schlechter Geruch herrschte im Tunnel. Es wird einem Übel beim Geruch aus einem Gemisch von Salpeter und Äther, Schwefel und Chlor, Kot und Leichen, Schweiß und menschlichen Ausdünstungen aller Art. Das Essen scheint hier drin unmöglich zu sein. Lediglich der Kaffee, lauwarm schaumig in einem Becher gibt uns etwas Lebensmut.“

Und ein weiterer Augenzeuge berichtete: „Die Erholung fand meist im Tunnel von Tavannes statt. Das war bestenfalls das Fegefeuer. Ankunft im Tunnel. Nichts ist vorbereitet, um uns zu empfangen. Nach einer langen Strecke werden den Männern Plätze direkt an den Schienen zugewiesen. Der Boden ist feucht und voller Müll. In dem fast 1.500 Meter langen Tunnel wurde nichts für einen Aufenthalt eingerichtet. Nicht einmal eine Luftzufuhr. Erst vor wenigen Tagen wurde damit begonnen, einen Luftschacht anzulegen.

Am Donnerstag, den 25. Mai. Dieser Tunnel! Was für ein Aufenthalt! Dem Sektor würdig!

Ein hohes Gewölbe, das von Zugrauch geschwärzt ist, Kojen auf drei Etagen in Abschnitten von hundert bis hundertfünfzig Metern, die durch leere Räume voneinander getrennt sind, und wo die Männer nur die Schienen und Schwellen haben, um sich auszuruhen.

Inmitten dieser leeren Räume befinden sich die Tinettes, die schmutzigen Urintümpel. Die Luft ist faulig und riecht nach Schweiß und Exkrementen, dass es einem schlecht wird. Eine Nacht dort verbracht und die Männer sind blass, haben zerfurchte Gesichtszüge und können sich nicht mehr auf den Beinen halten.

Ich habe heute Morgen 53 Kranke, eine enorme Zahl. Ich habe denjenigen, die simulieren, mit dem Kriegsrat gedroht. Die Unglücklichen! In Wirklichkeit ist die ganze Kompanie krank...

Hier herrscht sehr gedrückte Stimmung. Die Männer haben sich nicht ausgeruht, haben nichts gegessen und leben in der Nacht ohne Luft. Jeden Abend werden sie mit Arbeiten belastet.

Der Oberst tröstet mich: "Wir werden hier alle krepieren", sagt er freundlich.“

Tunnel von Tavannes

Die Versorgung und die Umstände der dort Lagernden war mehr als mangelhaft. Schnell machte sich der allgemeine Wassermangel bei einer schwankenden Zahl von 1.500 bis 2.000 anwesenden Männern bemerkbar. Es gab lediglich eine Wasserstelle im zentralen Bereich des Tunnels. Ständiger Lärm und Verkehr machte den Ruhenden diese Bedürftigkeit schnell zunichte. Ferner gab es keine Latrinen und die wenigen Lüftungsrohre waren nicht nachhaltig gegen Geschoßgase und Giftgase geschützt.

Diese Umstände, der Mangel an Hygiene bzw. deren Möglichkeit dazu verwandelten den Tunnel sehr bald in eine übel riechende Stätte. Die dort manchmal bis zu 15 Tage liegenden Einheiten muss der Aufenthalt in eine seelische und körperliche Grenzsituation geführt haben. Aber auch hier die Tatsache, wie man es auch von deutschen Schilderungen her kennt: Man nimmt gerne alle Entbehrungen auf sich, Hauptsache man hat ein sicheres und geschütztes Dach über dem Kopf.

Tunnel von Tavannes
Tunnel von Tavannes

General ROUQUEROL, Kommandeur der französischen 16. D.I. schrieb im Sommer 1916 zu den herrschenden Zuständen: „...Die elektrische Beleuchtung wurde mit einem Benzinmotor organisiert. Es war jedoch in dieser frühen Phase falsch, blanke Hochspannungskabel in unmittelbarer Nähe der Einrichtungen für die ruhende Truppe zu installieren. Mehrere tödliche Fälle von Stromschlägen verursachten die baldigen Änderungen der Stromverteilung. Die Beleuchtung befand sich nur in einem Teil des Tunnels, der als Wohnbereich und Depots diente. Der restliche Tunnel lag im völligen Dunkel. Ein Belüftungsschacht wurde mit Leinwänden verschlossen, um das mögliche Eindringen von Kampfgasen zu verhindern. Die Organisation im Tunnel umfasste Abflusskanäle für Kondens- und Sickerwasser, die in nicht unerheblicher Menge anfielen. Trotz der getroffenen Maßnahmen verwandelten sich bald lange Abschnitte des Tunnels in einen Sumpf aus faulem und stinkenden Schlamm. Obendrein entsorgten die dort lagernden Soldaten Müll jeglicher Art in den Kanälen und Pfützen. Es wurde sogar von Leichen berichtet, die dort gefunden worden waren.

So viele Infektionsursachen, den hygienischen Umständen, wenig frischer Luft, zu wenig frisches Wasser und anderen Dingen geschuldet, führte dies bei den Leuten zu einer Art Gelbsucht, welche ihre Gesichter in einer fahlen gelblichen Färbung erscheinen ließ.

Der Kommandant einer Abteilung, die im Juli das Gebiet von Tavannes besetzte, wollte einen Teil des Tunnels reinigen lassen. Man bekam die Sache nicht in den Griff. Schlamm und verschmutztes Wasser führten weiterhin unweigerlich zu vielen Krankheiten unter der Besatzung. Man musste sich allerdings vielerorts damit zufriedengeben, dass die einzelnen Bereiche mit Chlorkalk ausgestreut wurden.“

Tunnel von Tavannes

Am 22. Juni 1916 wurde die Evakuierung des Tunnels befohlen, da die Front in bedrohliche Nähe gerückt war. Die Vorbereitungen zur Sprengung wurden getroffen. Nach den abgewehrten deutschen Großangriffen Ende Juni und Anfang Juli 1916 wurde der Tunnel abermals besetzt und wieder für Unterkunft und Lagerung in Betrieb genommen. Das deutsche Artilleriefeuer hatte sich auf dem Ostzugang seit den Sommermonaten erheblich verstärkt, so dass sich die am Zugang lagernden Truppen bis auf über 100 m weiter in den Tunnel zurückzogen, um der Spreng- und Splitterwirkung zu entgehen.

Am 4. September 1916 ereignete sich das, was sich bereits vier Monate vorher auf deutscher Seite im Fort Douaumont zugetragen hatte. Im Tunnel gab es eine verheerende Explosion. Den Schilderungen der Ereignisse vorgreifend sei vornweg gesagt, dass sich derartige Bauten abermals als eine heimtückische Menschenfalle herausstellten. Es gab für Hunderte kein Entrinnen, weil die einfachen Sicherheitsmaßnahmen nicht befolgt bzw. ignoriert wurden. Hier wurde später die Ursache offiziell als „unbekannt“ eingestuft.

Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich Angehörige der Infanterie-Regimenter (R.I.) 18, 24, 346, 356, 367, 368 und 369, der Territorial-Regimenter (R.T) 4, 22, 24 und 98 im Tunnel sowie eine unbekannte Anzahl an Sanitäter und Funktionspersonal.

Aber zu den Fakten: Gegen 21 Uhr an diesem Tage ereignete sich eine Explosion von Artilleriemunition mit unbekannter Ursache, angeblich ausgelöst durch in Brand geratener Signalmunition. Die Sprengwirkung entzündete ein Öllager in Nähe des Generators am westlichen Ausgang. Die Explosion war bis auf mehrere Kilometer entfernt hör- und spürbar. Die in unmittelbarer Nähe befindlichen Soldaten starben unter dem ungeheuren Luftdruck, der ihre Lungen zerriss. Das Feuer erreichte obendrein das Kraftstofflager zum Betrieb der Stromgeneratoren, was zu weiteren Detonationen und Druckwellen führte.

Tunnel von Tavannes

Der Westausgang wurde komplett zugesetzt und die nahe beieinanderstehenden Baracken im Inneren entzünden sich in rasender Schnelle und brannten komplett nieder – die Insassen hatten keine Chance. Hochgiftiger, dicker schwarzer und gelber Qualm wälzt sich durch den Tunnel, angetrieben durch den Explosionsdruck der geborstenen Granaten und den Luftzug beider Zugänge und der Lüftungskamine. Die Insassen ersticken allesamt. In Panik flüchten die Überlebenden in Richtung des östlichen Zugangs und gerieten hier in das deutsche Artilleriefeuer. Vor dem deutschen Feuer wieder in den Tunnel gedrängt, von der anderen Seite durch den dichten Rauch wieder nach vorne gedrückt, entstand im Bereich des Ostzugangs eine Panik, welche den Zugang teilweise in beide Richtungen komplett blockierte. Die Gasmasken funktionieren im dichten Rauch des Brandes ebenfalls nicht.

Deutscherseits hatte man die markanten und unüblichen Rauchschwaden im Bereich des Tunnels erkannt und erhöhte die Feuertätigkeit auf den Ostausgang. In der letzten Hoffnung stürzten sich die Unglücklichen aus dem Tunnel und versuchten in den umliegenden Löchern Schutz zu finden. Sie waren schwarz vom Qualm, halb erstickt und teilweise verbrannt.

Tunnel von Tavannes
Tunnel von Tavannes
Stein eines Vermissten und seiner Kameraden aus dem Tavannes-Tunnel im Beinhaus

Die ganze Nacht kam keine Hilfe zu den Verunglückten. Der Westzugang war immer noch blockiert und auf der Ostseite verhinderte das deutsche Artilleriefeuer einen Zugang von außerhalb. Der Tunnel brannte zwei Tage lang. Viele der Opfer sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, so dass auch die Zahl der Getöteten nie geklärt werden konnte. Die Identifizierungsquote lag unter 30 %. Angehörige der Rettungstrupps berichteten, dass die Toten zu Asche zerfielen, wenn man sie berührte. Die Zahl der Toten der Katastrophe wurden auf 500 bis 600 Mann geschätzt, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte. Die meisten Verunglückten gehörten nach halboffiziellen Angaben zu den Territorial-Regimentern 22, 24 (194 Mann tot) und 98 (127 Mann tot), dem 356. R.I. (28 Mann tot), dem Sanitätspersonal der 73. D.I. (104 Mann tot) und einer unbekannten Anzahl von Verwundeten sowie weiterem Funktionspersonal.

Die zahlreichen Leichen wurden meist im Umfeld des Tunnels eilig begraben, z.B. an der oberen südlichen Böschung in Sichtweite des westlichen Tunnelausgangs (siehe eines der beigefügten Fotos). Ein geringer Teil wurde wohl nach dem Krieg auf den französischen Soldatenfriedhof nach Dugny überführt und dass Grabfeld auch mit einer offiziellen Tafel mit Hinweisen auf die Opfer der Explosion versehen.

Tunnel von Tavannes

Dieses Unglück wurde von den französischen Behörden vertuscht, die Presse diesbezüglich zensiert und die Angehörigen im Unklaren gelassen. Offiziell waren die meisten Getöteten während der Kämpfe verschwunden und galten als „vermisst“.

Bis in den Dezember 1916, als sich die Linie deutlich aus dem näheren Bereich des Tunnels entfernt hatten, wurde der Betrieb unter den bisherigen Bedingungen weitergeführt. Diesmal allerdings unter besonderer Rücksichtnahme auf die Sicherheitsbestimmungen, um eine weitere gleichartige Katastrophe zu vermeiden. Die Umstände der Unterbringung für die Soldaten und des Funktionspersonals besserten sich ebenfalls.

1917 zog man abermals in Erwägung einen Verbindungsgang zwischen dem Fort Tavannes und dem Tunnel zu graben (Siehe Skizze unter Punkt 1, ausgehend von der nördlichen Grabenstreiche). Die Arbeiten wurden offensichtlich bis zum Kriegsende nicht mehr fertig gestellt. Trotzdem halten sich bis in die heutigen Tagen Gerüchte, dass es diesen Verbindungsgang tatsächlich gibt.

Nach dem Krieg wurde die Tunnelröhre komplett saniert und wiederinstandgesetzt. Der stark mitgenommene Bereich der Ostausfahrt wurde bis tief in die Röhre durch Betonringe verstärkt, die Beschädigungen an den Blockhäusern beseitigt. Auch möglich wäre, dass die Südröhre beim Bau der zweiten Röhre 1936 gestützt werden musste, um einen Einsturz zu vermeiden.

Mutmaßungen aus vergangenen Tagen hielten diese Verstärkungsringe für Maßnahmen zur Aufnahme eines deutschen V-1-Zuges, der dort 1944 angeblich kurzzeitig beschußsicher untergestellt werden sollte. Allerdings fehlen dazugehörig jegliche stützenden und untermauernden Aussagen und Unterlagen.

1936 wurde die heute noch benutzte 2. Röhre angelegt. Sie ist aufgrund einer innenliegenden Kurvenführung nur rund 1.200 m lang. Zwischen den beiden Galerien wurden etwa alle 100 Meter Verbindungsgänge zwischen den Röhren eingerichtet, die mit Panzertüren zu verschließen waren. Auch ist heute nur noch das südliche Blockhaus der Nahverteidigung vorhanden; die Reste des anderen fiel dem Bau der 2. Röhre zum Opfer. Der Gleisbetrieb in der alten südlichen Röhre ist heute eingestellt und sie kann komplett begangen werden.

Heute führt – wie damals – die Bahnlinie Metz – Verdun im Personen- wie im Güterverkehr durch den Tunnel.

Tunnel von Tavannes
Tunnel von Tavannes

Quellenverzeichnis:
Conrad, Walter H.: Ein Eisenbahn-Handstreich auf Verdun 1914; in: Wehrtechnische Monatshefte, Dezember 1935, o.O.
Grabau: Das Festungsproblem in Deutschland und seine Auswirkungen auf die strategische Lage 1870 – 1914, o.O., o.J.
Reichsarchiv: Der Weltkrieg 1914 – 1918; Band 1: Das deutsche Feldeisenbahnwesen, Berlin 1928
Werth, German: Verdun – Die Schlacht und der Mythos, Bergisch Gladbach 1979
Fremont: Verdun – Geschichtlicher Illustrierter Führer, Verdun o.J.

Internet:
www.lesfrancaisaverdun-1916.fr
www.fortiffsere.fr
www.histoire-en-questions.fr/premiere-guerre-mondiale/verdun-1916-ete-tunnel-tannaves.html
www.wikipedia.org
www.christianch.ch/index.php/reisen-und-entdeckungen/schweiz/bern-be/tavannes

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