Die Schlacht um Verdun
Forschung | Wissenswertes über das Deutsche Luftschifferwesen im Ersten Weltkrieg
Wissenswertes über das Deutsche Luftschifferwesen im Ersten Weltkrieg von Stephan Klink
Der folgende Artikel befasst sich mit einem Thema des Ersten Weltkrieges, das weniger bekannt ist, aber gerade deswegen eine interessante Lücke in Bereich des Allgemeinwissens zu dieser Materie schliesst – das Luftschifferwesen.
Die damaligen Luftschiffer würde man in der heutigen Zeit als Ballonfahrer bezeichnen. Ballone dienten im Ersten Weltkrieg zur Aufklärung mittels Beobachtung und Lichtbildauswertung, des gegnerischen Hinterlandes bzw. zur Feuerleitung der eigenen Artillerie. Zuerst, insbesondere auf deutscher Seite, wenig Beachtung geschenkt, entwickelte sich diese Waffengattung im Laufe des Krieges zu einem wichtigen Instrument der Feindaufklärung. Nachfolgend etwas Wissenswertes über die Entwicklung eines augenscheinlich 'altertümlichen' Kriegsinstruments in den Jahren 1914 - 1918.
1896 wurde der von Parseval und von Sigsfeld entworfene Drachen-Fesselballon, statt des bisher verwendeten Kugelfesselballons, in der deutschen Armee eingeführt. Trotzdem sich die Technik der Luftschiffe in den kommenden Jahren stark verbesserte, hatte die Bedeutung der Fesselballone in den Augen der Heeresverwaltung und in der Industrie abgenommen. So wurden auch bis zum Kriegsausbruch keine Neuerungen der Bauart und der Ausrüstung vorgenommen, weil man sie als unmodernes Aufklärungsmittel deklarierte.
1913 gab es in der preußischen Armee fünf Luftschiffer-Bataillone, wobei das Luftschiffer-Bataillon Nr. 1 (Garde) mit Fesselballonen ausgerüstet war, die vier anderen für die Luftschifffahrt bestimmt waren. Alle Bataillone unterstanden dem ebenfalls 1913 gebildeten Inspekteur der Luftschiffertruppen (Iluft) in Berlin; dieser war wiederum dem Generalinspekteur des militärischen Verkehrswesens (G.I.) unterstellt. Die bayerische Armee besaß ein Luftschiffer-Bataillon, das der bayerischen Inspektion des Luft- und Kraftfahrwesens unterstand.
Die Luftschiffertruppe selbst bestand fast nur aus Freiwilligen sowie Fachhandwerkern, die militärisch und technisch sehr gut ausgebildet waren. Das Offizierskorps setzte sich aus allen Waffengattungen zusammen und bildete eine Art 'Spezialistentruppe'. Zu ihr ließen sich nach Kriegsausbruch zahlreiche sehr befähigte Offiziere, darunter zahlreiche Kriegsakademiker, versetzen. Der Weg in diese Truppe führte über einen einjährigen Kurs an der Lehranstalt für Luftschiffertruppen.
Trotzdem blieb in den Armeen das Wesen der Fesselballontruppe relativ unbekannt. Sie konnten mit ihrer Verwendung nicht viel anfangen. Man kannte ihren Einsatz aus den Manövern, allerdings kamen sie aufgrund ihrer Schwerfälligkeit, zu den sich meist in rascher Bewegung abspielenden Gefechtshandlungen, meist zu spät. Im nun beginnenden Bewegungskrieg versprach man sich nur sehr wenig von ihnen.
Bei der Mobilmachung erhielt die Truppe der Feldformationen die Bezeichnung 'Feldluftschiffertruppe'. Die taktische Einheit wurde als Feldluftschiffer-Abteilung (F.L.A.) benannt. Ins Feld rückten acht preußische und zwei bayerische Abteilungen. Die Stärke einer Abteilung betrug 10 Offiziere, 270 Mann, 194 Pferde und 35 Fahrzeuge.
In der Heimat waren 15 Festungsluftschiffertrupps stationiert, die nicht mobil, für den Bewegungskrieg völlig ungeeignet waren. Der Untätigkeit überdrüssig erwirkten ihre Führer deren Verwendung im Felde. Hierzu wurden sie mit dem nötigen technischen Material ausgerüstet und kamen später meist an der Westfront zum Einsatz.
Die Feldluftschiffer-Abteilungen hatten zu Beginn des Krieges ihrer Aufgabe nicht gerecht werden können und hatten größtenteils versagt. Grund dafür waren der technische Rückstand und die meist falsch vorgegebene Aufgaben im Einsatz. Obendrein machten sie sich, wegen ihrer geringen Leistungsfähigkeit bald sehr unbeliebt: Sie zogen das gegnerische Artilleriefeuer förmlich an und brachte die in ihrer Nähe befindlichen Stäbe und Reserve meist in unmittelbare Gefahr.
Schon wurde auf höherer Ebene erwogen, die Fesselballone ganz aus dem Felddienst zu streichen, als der Stellungskrieg einsetzte. Nun war die Sachlage eine völlig andere: An allen Teilen der Front steigerte sich das Ansehen der Truppe, auf Grund ihrer sehr guten Aufklärungsergebnisse. Insbesondere die schwere Artillerie schätzte die Beobachtungen sehr bald, um verdeckte gegnerische Batterien zu erkennen. Die Fesselballone blieben dem Heer als wichtige Hilfe erhalten!
Mit Fortdauer des Krieges setzte auch eine Weiterentwicklung der Ballone ein. Der bisher verwendete 600 cbm-Ballon war sehr wetteranfällig und schaffte nur unter guten Bedingungen eine Höhe von 800 m. Dies reichte bald zur Aufklärung gegen die feindliche Artillerie nicht mehr aus. In diesem Falle machte Not erfinderisch und bewies einerseits auch den Mut und die Motivation Truppe: Man entfernte die relativ schwere Gondel; der Beobachter stieg in ganz leichte Behältnisse, wie z.B. in Sättel oder versteifte Hosen.
Anfang 1915 verbesserte sich die Lage: Die zuständige Stelle überwies größere Ballons von 800 bis 1.000 cbm mit einem Steigvermögen von 1.000 bis 1.200 m. Die neuen Ballone waren auch bei schlechteren Bedingungen stabil und erleichterten so die Beobachtung. Allerdings gab es keine Neuerung der Bauart beziehungsweise der Form. Aber größere Ballone waren auch schwerfälliger: so brauchte man, um ein Gefährt aus 1.000 m einzuholen fast eine Stunde. Dies beanspruchte die Mannschaften außerordentlich; Pferdegespanne und Gleitrollen schafften zwar Abhilfe, aber war hierfür auch ausreichend freier Platz erforderlich. Die Folge war, dass die Ballone nicht immer an den gewünschten Orten eingesetzt werden konnten, sondern dass deren Einsatz vom Gelände abhängig war.
Die Truppe behalf sich mit einer eigen entwickelten Motorwinde. Erst ab dem Frühjahr 1915 waren dann die Abteilungen mit einer beweglichen Protz-Kraftwinde ausgestattet.
Auch die Ausbildung der Beobachter wurde deutlich verbessert. Insbesondere die schwere Artillerie, denen die Ballone meist zuarbeiteten schickten immer mehr Offiziere in die Gondeln, so dass meist direkt von dort aus das Feuer der eigenen Batterien geleitet werden konnte.
Aufgrund der guten Ergebnisse wurde der Ruf nach der Aufstockung der Abteilungen laut. Ende 1915 standen 40 Feldluftschiffer-Abteilungen mit mehr als 80 Ballonen an der Front.
Beim Angriff auf Verdun, im Februar 1916, setzte man erstmals eine größere Menge von Ballonen auf engen Raum ein. Man zentralisierte die Beobachtungen in einer so genannten 'Ballonzentrale'. Diese unterstand dem zuständigen A.O.K. unmittelbar. Die Zentrale teilte den einzelnen Besatzungen ihre Aufgaben zu und unterrichtete den vorgesetzten Dienststellen über die Lage der Kampfhandlungen.
Aber die Gegenmaßnahmen blieben nicht aus: Immer häufiger wurden die Ballone von gegnerischen Fliegern angegriffen. Wurden sie anfangs mit Fliegerpfeilen, Bomben und Brandbomben attackiert, setzte man sehr bald eine recht wirkungsreiche M.G.-Brandmunition ein, die der Truppe erhebliche Verluste insbesondere an Material zufügte. Dies forderte eine Erhöhung der Einholgeschwindigkeit; die Motoren der Winden wurden auf 50 bis 60 PS gesteigert.
Das gute Zusammenwirken zwischen Artillerie und den Abteilungen, insbesondere bei den Kämpfen um Verdun, hatte zur Folge, dass die Luftschiffertruppe weiter vermehrt wurde. Die Abteilungen selbst vermehrten ihre Aufstiegsstellen. Der Nachteil war, dass dadurch auch das vorhandene Personal, trotz Unterstützung der Infanterie als Haltemannschaften, bald völlig überfordert war und die Unbeweglichkeit weiterhin einen negativen Bestandteil bildete. Insbesondere, den taktischen Umständen angepasste, schnelle Stellungswechsel waren ausgeschlossen.
Nach den Erfahrungen der Somme-Schlacht im Sommer 1916 begann eine Neustrukturierung. Die einzelnen Feldluftschiffer-Abteilungen wurden in mehrere Ballonzüge (= eine Kompanie) untergliedert. Der Ballonzug konnte als geschlossene Einheit jederzeit an anderer Stelle aufsteigen und einer anderen Abteilung angegliedert werden.
Mit Zunahme der Fliegerangriffe bewährte sich der Fallschirm, der manchen Beobachter das Leben rettete, wenn er seinen brennenden Ballon verlassen musste. Der Fallschirm war erst im Spätjahr 1915 eingeführt worden und wurden anfangs nur wenig benutzt. Die Situation verbesserte sich mit der Einführung des zusammenlegbaren Fallschirms. Erfinderin und Herstellerin war die bereits vor dem Kriege bekannte erste deutsche Berufs-Luftschifferin und Luftakrobatin Käthe Paulus, die schließlich ab Sommer 1916 einen Paketfallschirm im Auftrage des preußischen Kriegsministeriums herstellte. 1917 wurde sie mit dem Verdienstkreuz für Kriegshilfe ausgezeichnet. Im April des gleichen Jahres rettete ihre Konstruktion das Leben von zwanzig Ballonaufklärern, dies alle samt während der Kämpfe bei Verdun abgeschossen wurden. Bis zum Kriegsende lieferte sie rund 7.000 Fallschirme an die Armee aus.
Das Interesse an den Luftschiffern steigerte sich mit Fortlauf des Krieges. Nicht nur das sich die Besucher für das Gerät des Fallschirms, damals noch ein wenig bekanntes Werkzeug, und der Lichtbildaufklärung der Ballone interessierten, erschienen nun auch immer öfter Abordnungen der Infanterie, um sich über die Aktivitäten der Ballone zu erkundigen. Bald kam man zu der Erkenntnis, dass die Ballone nicht nur die Artillerie, sondern auch die Infanterie unterstützen könnte. Besonders in den späteren Abwehr- und Angriffsschlachten bewährte sich diese Zusammenarbeit außerordentlich.
Die größte technische Veränderung erfolgte im Jahre 1917 mit der Einführung einer neuen Ballonart. Bei den Alliierten war bereits während der Somme-Schlacht ein neuer Typ aufgetaucht. Er war nach dem französisch – englischen System Claquot – Caco gebaut. Nach langen Mühen gelang es einen solchen Ballon zu erbeuten. Er wurde mit kleinen Veränderungen nachgebaut und bekam die Bezeichnung AE-Ballon. Er hatte eine Tropfenform mit 850 cbm Inhalt; statt der Steuerflächen hatte er luftgefüllte Steuerwülste, ohne Schwanztuten. Damit stand der Ballon fast waagrecht in der Luft, gegenüber dem alten Typ des Drachenballons der fast 30° Neigungswinkel hatte. Er erreichte eine Höhe 1.500 m und konnte nach bei einem Wind von 20 m/Sek. aufsteigen, während der Drachenballon bereits bei 14 m/Sek. nicht mehr aufsteigen konnte.
Eine nicht unwichtige Rolle spielte auch die bald eintretende Rohstoffknappheit in Deutschland. Die Ballone waren aus Naturgummi gebaut, das bald durch Regenartgummi ersetzt werden musste. Später wurden diesem Gummi noch Streckmittel beigefügt, wobei bis zum Ende des Krieges auf Gummi ganz verzichtet werden musste. Als Ersatzstoff nahm man Cellon- und Stoffhautmaterialien, wobei letztgenannte mit Darmhäuten zwischen Innen- und Außenhülle eingefügt werden musste.
Am Ende des Krieges bestand die Luftschiffer-Truppe aus 56 Abteilungsstäben mit 184 Ballon-Zügen.
(sk) Stephan Klink
Quelle: Neumann, Paul: Die deutschen Luftstreitkräfte im Weltkriege, Berlin 1920
Wikipedia: Käthe Paulus
Bild-Nachweis: Archiv Klink