Die Schlacht um Verdun
Forschung | Flieger – Heldentaten und Erlebnisse unserer Kriegsflieger
Walter Höhndorf
Pour le mérite – Flieger – Heldentaten und Erlebnisse unserer Kriegsflieger
Sommernachmittag.
Der Himmel sieht mit den ungleichmäßigen dichten und seltsam gezackten Schäfchenwolken aus wie ein zerrissenes Gewebe. Die Sonne läuft, Verstecken spielend, bald im Wolkenschatten, bald blendet sie mit stechenden Strahlen aus Himmelsbläue. Üppig aufgewuchert ist um die Batteriestellung das Gras in kräftigen Büschlein und die Wiese weithin bunt gewirkt von den überreich gesäten weißen, roten und gelben Blumeköpfen. Von der bewegten Luft hergetragen, rollt der Kanonendonner und surrt das Brausen der Geschosse durch die Luft. Grell springt der Abschuß aus den Rohren, dumpf bollert das Krepieren und hallt nach, daß die Erde leis erzittert. In der Luft surrt es, als wäre ein Rad da droben in ewig kreisender Bewegung. Schon hat die Beobachtung den Doppeldecker erspäht und gibt zur Batterie die warnende Meldung: „Feindlicher Flieger – Untertreten!“.
Wie ein großer Vogel hoch in den Wolken zieht der Doppeldecker ruhig seine Bahn... Da gellt ein harter Abschuß und das zähe Sausen der Geschosse zerreißt die Luft, knapp hinter den Geschützständen schlägt laut die Granate ein und fegt die Erde hoch. Kreisend wendet sich der Flieger über uns, wie ein Spiel bald als glänzende Libelle sichtbar, bald in die Wolken tauchend. Da heulen die Abwehrbatterien eine erste Salve. Mit hellem pfeifenden Zischen steigen Schrapnells – wie ein scharfer kurzer Ruck an einer Harfenseite hört es sich an – um den Flieger hüpfen weiße, flaumige Schrapnellwölkchen und hinterher patscht der Knall. Aber er läßt sich nicht vertreiben, der zähe Bursche. – Langsam und bedächtig richtend, jagt die feindliche Batterie uns Schuß auf Schuß über die Köpfe weg.
Immer der Abschuß, jäh in den Ohren klingend, dann ein Augenblick des Lauerns, während das Geschoß pfeift, bis der Unterstand bebt vom Einschlag und der Sprengkraft des pulvergetriebenen Eisens. Zwischen den Schienen rieseln Erdkörner von der Decke. Auf den Munitionsstand ist eine Granate hingehauen, hat die Bodenschicht und die Deckung der Holzschwelle zerrissen, aber an den Knorren der alten Eichenstämme darunter, die sie nur halb durchgehackt hat, sich die Zähne ausgebissen. Unheimlich rüttelt durch den Unterstand der Schlag, der uns allen darin ohne die Zähigkeit des Holzes vielleicht das Leben gekostet hätte.
Da erscheint uns ein starker Helfer. Das Surren in der Luft hat sich verstärkt. Das Rauschen klingt ein wenig anders. Und gleich hat einer es erfaßt und ruft: „Ein deutscher Kampfflieger!“ Jetzt wird der Franzose es an der Zeit halten, zu verschwinden. Aber, zu ihrer Ehre sei gesagt, sie haben Schneid, diese französischen Flugzeugführer. Er flieht nicht und nimmt den Kampf mit dem stärkeren Feind auf. Maschinengewehre rattern in der Luft – und alle lauern wir hin nach diesem Kampf, der sich zu Häupten abspielt – unvorsichtig hinaufschauend, trotz der noch immer in Abständen einschlagenden Granaten. Wenn ein Schuß dröhnt, ein rasches Zurückfluten unter die Deckung... Der Kampf ist kurz. Einer Schrapnellwolke ausweichend, die dicht neben ihm an den Himmel gespritz erscheint, senkt sich der Franzose. Schräg von oben niederstoßend überkommt ihn der Deutsche – wie ein Raubvogel – noch einmal ein kurzes Maschinengewehrknacken – dann gleitet der deutsche Kampfflieger sich langsam wieder hebend, über uns fort...
Der Franzose zittert einen Atemzug lang wie ein angeschossener Vogel. Plötzlich steht ein dicker, grauweißer Qualm hinter der Maschine. Den Benzinbehälter muß es getroffen haben. Nieder saust der Doppeldecker, in tödlichem Fall sich überschlagend, als halben Wegs zur Erde eine jähe Flamme hochschießt. Gleich einer Sternschnuppe aufleuchtend, durch den Himmelsraum rasend, prescht er zu Boden in zerschmetterndem Prall. Ein Fetzen ist losgeschwirrt von der gewaltig flammenden Fackel, ein glimmendes Stück Flügel, das eine eigene Bahn nimmt, langsamer niederkommend. Ein wenig hat der Wind den stürzenden Apparat getrieben. Nicht weit von der Batterie liegen die Trümmer an der mit dunklen Baumriesen gesäumten Straße, zerbrochene Eisendrähte, verkohltes Segelleinen als letzte Überreste. Die Insassen kaum noch als Menschen kenntlich. Und jene Flugblätter, die sie mit sich führten, zum Hohn mit den deutschen Farben umrandet, „Feldpost“ genannt, sind getränkt von Blut, französischem Blut.
Aber nächsten Tag aber meldet der deutsche Heeresbericht: „Dem bekannten und erfolgreichen Vorkriegsflieger gelang es gestern, seinen siebenten Gegner, einen französisches Bombenflugzeug, das über den deutschen Stellungen Bomben und Flugblätter abwarf, nach kurzem Luftkampf brennend abzuschießen.“
Leutnant Höhndorf war der erste inaktive Fliegeroffizier, der sich durch besondere Kampferfolge die seltene Auszeichnung des ‚Pour le mérite’ erstritten hatte. Am 10. Dezember zu Prützke als Sohn eines Lehrers geboren, genoß er seinen ersten Schulunterricht in Brandenburg an der Havel. Später kam er nach Schöneberg, wo er die Hohenzollern-Oberrealschule absolvierte. Schon in frühen Jahren zeigte Höhndorf ein brennendes Interesse für Maschinenbau. Diese Leidenschaft bewog ihn, nach seinem Schulaustritt sich praktisch und theoretisch in der Automobil- und Flugzeugtechnik auszubilden. Einen Teil dieses Ausbildungsjahres verbrachte er in Paris.
Dort erlernte er im Dezember 1913 auf einem Rotations-Eindecker bei den Morane-Saulnier-Werken in Villacoublay bei Paris das Fliegen. Von hier aus kam er zu der Sportflieger-G.m.b.H. nach Johannisthal, wo er im Oktober 1913 auf einer Etrich-‚Taube’ seine deutsche Pilotenprüfung ablegte. Höhndorf beteiligte sich verschiedenemale an Wettbewerben der National-Flugspende, wo er mehrere Stundenprämien zu erkämpfen vermochte. Am 1. Januar 1914 trat er als Konstrukteur und Flugzeugführer bei den Union-Flugzeugwerken in Teltow ein. Hier führte er viele kleine Überlandflüge aus und beteiligte sich im Mai desselben Jahres auf einem Rotations-Pfeil-Doppeldecker mit Erfolg an dem berühmten Dreiecksflug, dessen Ausgangspunkt Berlin war. Noch im gleichen Monat führte Höhndorf als erster Deutscher auf einem rein deutschen Flugzeug, das er eigens zu diesem Zweck konstruierte, Loopings und Sturzflüge aus. Sein Flugzeug war ein Union-Pfeil-Doppeldecker mit einem Stahlherzmotor von 80 PS. Hierauf veranstaltete er unter anderem in Chemnitz verschiedentlich Schauflüge, die ihm bei Publikum und Presse die höchste Bewunderung eintrugen. Am 1. August 1914 trat der auf das beste vorbereitete Flieger als Kriegsfreiwilliger bei der Flieger-Ersatz-Abteilung 1 in Döberitz ein und rückte am 12. August mit dem mobilen Etappen-Flugpark 1 ins Feld.
Im Oktober 1914 erfolgte Höhndorfs Ernennung zum Unteroffizier sowie seine Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse. Am 27. Januar 1915 wurde er zum Vizefeldwebel und am 22. März desselben Jahres zum Leutnant befördert. Von Mai bis Dezember 1915 wurde er von der Heeresleitung den Siemens-Schuckert-Werken zum Einfliegen eines Riesenflugzeuges zur Verfügung gestellt. In dieser Zeit stellte er auf einem Kondor-Doppeldecker mit nur 120 PS – Mercedes-Motor einen Weltrekord mit vier Passagieren auf, in dem er seinen Doppeldecker bis auf eine Höhe von 3.280 Meter brachte. Seinen Aufenthalt in den Siemens-Schuckert-Werken benützte Höhndorf gleichzeitig zur Erledigung seiner Vorbereitung zum Kampfflieger und kehrte Ende 1915 zur Westfront zurück.
Das Feld seiner Tätigkeit lag an der lothringischen Grenze, wo er mit Leutnant Wintgens in einer Abteilung stand. Hier erzielte er durch glänzendes Zusammenarbeiten mit Wintgens große Erfolge. So schossen beide, die bald enge Freundschaft geschlossen hatte, unter anderem aus dem französischen Flugzeuggeschwader, das seinerzeit Karlsruhe mit Bomben bewarf, ein Großflugzeug ab, und zwar in einer Höhe von 4.800 Metern, was an sich schon eine gewaltige Leistung darstellte.
Bei Beginn der Sommeschlacht kamen Höhndorf und Wintgens zusammen nach dem dortigen Kampfgebiet, wo Höhndorf in rascher Folge den achten bis fünfzehnten Gegner zum Absturz brachte.
Durch einen Unglücksfall auf einer selbstkonstruierten Maschine mußte der aussichtsreiche Flieger und Fachmann am 5. September 1917 sein Leben lassen. General von Höppner aber schrieb im Heeresbericht:
„Mit Leutnant Höhndorf hat die Jagdstaffel 14 einen lieben Kameraden, haben die Luftstreitkräfte wieder einen ihrer Ritter des ‚Pour le mérite’ verloren. Deutschland und seiner Arbeit hat er sein Leben geopfert. Er hat viel mitgeholfen zu unserem Ziel: Sieg in der Luft.
Von Höppner.“
Quelle: Walter Zuerl: Pour le mérite – Flieger – Heldentaten und Erlebnisse unserer Kriegsflieger, München 1938